Die Freeride-Kletterer

Es war der 21. Februar 1999, als wir in Forclaz, einem kleinen Ort im Tal von Evolène im Wallis, einen Snowboard-Tiefschneeurlaub machten. An diesem Tag fuhren wir in ein winziges Skigebiet am Ende des Tals, wo man von dem höchsten Punkt des Liftbetriebs aus mit einem ca. dreistündigen Aufstieg eine herrliche Tiefschneeabfahrt erreichen konnte, die am Ende sogar wieder zur Talstation des Skigebiets führen sollte. Doch es kam anders …
 

Nachdem wir das unberührte Powder-Couloire genossen hatten, verpassten wir in unserem Übermut die Abzweigung zurück ins Skigebiet. Nach einem circa 300 m langen Sattel, der uns über zwei Stunden schweißtreibendes Durchkämpfen abverlangte, weil in diesem Jahr unglaubliche Schneemassen gefallen waren und quasi nur unsere Köpfe aus dem Powpow hinaus schauten, wurde das Gelände kurz steil genug, um befahrbar zu sein, aber dann immer steiler und steiler. Ein Zurück gab es nicht mehr, Handys oder Karten hatten wir auch nicht dabei, und so endeten wir irgendwann damit, eine steile Wasserfallrinne hinunterzuklettern, wobei wir uns an Bäumen und Sträuchern festhalten mussten. Die Snowboards mussten wir nur ein paar Meter vor uns in die Luft werfen, sie fielen dann viele, viele Meter weiter tiefer in den Schnee. Wir hatten schon auch ein bisschen Furcht und kamen uns gleichzeitig wie blutige Anfänger vor, weil wir so schlecht präpariert waren. Die ganze, nicht ganz ungefährliche Kletterei dauerte noch mal etwa 90 Minuten. Wir waren mittlerweile auch ziemlich am Ende unserer Kräfte und des dunkelte langsam. Die Situation war also alles in allem doch recht prekär.

Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Das Gelände wurde etwas flacher und plötzlich gab es einen Waldweg, der zwar auch tief verschneit, aber steil genug war, um die Boards wieder anzuschnallen. Es war dann nur eine zwei- oder dreiminütige Abfahrt, bis wir die Straße im Tal erreichten.

Das Gefühl, dort anzukommen und die Gefahr hinter sich gelassen zu haben, war sensationell und wegen dem schnellen Wechsel des Erlebens auch irgendwie ziemlich grotesk. Wir wussten ja, dass uns aufgrund unserer schlechten Planung eigentlich a Watschn gebührt hätte …

Nach kürzester Wartezeit nahm uns ein netter Schweizer mit, und wir saßen weniger als eine Stunde später in der Sauna unseres Chalet und konnten unser Glück noch nicht recht fassen.

Die Geschichte nahm aber noch eine traurige Wendung. An diesem 21. Februar 1999 ging in Evolène eine große Lawine ins Tal, die viele Menschen das Leben kostete. Unter anderem einem befreundeten Pärchen, das an diesem Abend eigentlich ins Nachbarapartment kommen wollte. Sie waren mit dem Auto genau zu dem Zeitpunkt auf der Straße unterwegs, als die Lawine kam. Sie hatten keine Chance und wurden erst Wochen später gefunden.

Das geht uns auch deswegen so nach, weil die beiden nichts falsch gemacht hatten und trotzdem verunglückten, während wir so ziemlich alles an diesem Tag falsch gemacht hatten, was man in den Bergen falsch machen kann. Wir hatten einfach sehr viel Glück und von den vielen Tiefschneeerlebnissen, die wir überall auf der Welt gesammelt haben, war dieses sicher eins der nachdrücklichsten.

Wir, das sind übrigens mein Seilpartner Tim und ich. Wir haben im Laufe der letzten 25 Jahre viele schöne Abenteuer beim Snowboarden, Skifahren, Kiten und Wandern zusammen erlebt und auch schon des Öfteren versucht, Heliskiing Trips zu verwirklichen. Das hat aber leider bisher entweder aus finanziellen oder familiären Gründen noch nie funktioniert.

Bernhard Martin

 

Anmerkung von AEROSKI:
Das war zwar keine AEROSKI-Reise trotzdem gibt es hiermit eine „Watsch’n“. Denn dieser Ausflug war unverantwortlich! Man sollte niemals ohne ortskundige Begleitung in unbekanntes Gebiet starten. Bei AEROSKI ist ein erfahrener Bergführer immer mit von der Partie.

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