„Hard landing“ im Tiefschnee
Im Februar 1994 flog ich von New York nach Vancouver. Von dort ging es im Kleinbus über Whistler Mountain zu den Chilcotin Mountains. Die im typisch kanadischen Blockhausstil neu gebaute Lodge lag oberhalb eines idyllischen Sees. Am nächsten Tag ging es los.
Zuerst die Sicherheitseinweisung und Lawinenpieps-Training und danach ab in die Berge. Ich konnte es kaum erwarten, meine ersten Schwünge in den kanadischen Pulver zu ziehen. Es war kalt, der Pulver schön leicht, und wir genossen die ersten beiden Abfahrten. Da es leicht schneite, fuhren wir eine Waldabfahrt bis zum Pick-up, wo der Heli bereits auf uns wartete. Also nichts wie rein und wieder hinauf zum nächsten Run.
Wir flogen entlang einer Mulde den Berg hinauf: Der Rotorlärm war wie immer ohrenbetäubend, und draußen zogen die schneebedecken Bäume an uns vorbei. Ich saß direkt bei der Türe und sah plötzlich nur mehr weiß, und dann war es von einer Sekunde auf die andere still, wie wenn jemand den Schalter umgelegt hätte. Während mein Nachbar „Get out of here“ schrie, öffnete ich ohne Probleme die Türe und sprang aus dem Heli. Der Schnee war so tief, dass ich gleich bis zu den Hüften versank. Nach und nach kletterten alle anderen heraus. Was war passiert?
Der Heli war nicht mehr flugfähig
und so landeten wir aus 15 Meter Höhe unsanft
im ebenen Teil der Mulde.
Ein Fallwind hatte uns nach unten gedrückt, und da wir relativ nahe zum Grund den Berg hinaufflogen kam es zu einem White-out. Der Pilot sah nichts mehr und konnte so nicht mehr verhindern, dass der Heckrotor mit einem Baum kollidierte und beschädigt wurde. Dadurch war der Heli nicht mehr flugfähig und so landeten wir aus 15 Meter Höhe unsanft im ebenen Teil der Mulde. Die Rotorblätter hatten nicht so viel Platz. Eines rammte sich auf der Seite der Mulde in den Boden, das andere wurde um 90 Grad gedreht und genau mitten in das Cockpit geschleudert, wodurch es u.a. das Funkgerät zerstörte.
Wir kletterten alle so schnell wie möglich aus dem Heli. Der Pilot blieb sitzen und aktivierte alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen. Er bezeichnete das als „hard landing“. Wir hatten eine ganze Phalanx an Schutzengeln, denn es wurde niemand wirklich verletzt.
Nach dem ersten Schrecken stellten wir fest, dass wir kaum 100 Meter von unserem erhöhten Pick-up entfernt waren. Aus Sicherheitsgründen verließen wir den „Landeplatz“ und nahmen unsere Sachen, das Lunchpaket, Schaufeln und eine Axt mit uns zum Pick-up. Der Pilot nahm die Schneeschuhe und das noch funktionierende Walkie-Talkie und stieg den Berg hinauf. Wir begannen uns währenddessen einzurichten. Ich machte ein Lagerfeuer, andere gruben eine Schneehöhle, für den Fall, dass die Rettungsaktion erst am nächsten Tag erfolgen sollte. Nach zwei Stunden hörten wir, dass der Pilot endlich Kontakt zur Lodge hatte und erfuhren nun, dass ein Rettungs-Heli bereits von Whistler Mountain zu uns unterwegs war.
Nach rund fünf Stunden hörten wir das Knattern von Rotorblättern und atmeten erleichtert auf, als unser Retter landete. Sicher flogen wir zur Lodge zurück und verbrachten erleichtert einen unbeschreiblichen Abend.
Den nächsten Tag verbrachten wir mit Schneeschuhwandern und Langlaufen und erwarteten wir die Ankunft des neuen Helikopters. Am darauffolgenden Tag waren alle wieder bereit zum Skifahren. Mit neuem Fluggerät und Guide ging es wieder in die Lüfte, und wir verbrachten eine wunderbare, sehr kalte Woche bei traumhaften Schneebedingungen.
In den folgenden Jahren bin ich trotz oder gerade wegen diesem unvergesslichen Erlebnis immer wieder in Kanada und USA Heliskiing gewesen – der Berg ruft und im Winter eben der unendliche Pulverschnee.
Martin Benger