Tiefschnee mit Linsen und Spätzle
Manche Ereignisse brennen sich dir in dein Gedächtnis, obwohl dein Leben dadurch keinen anderen Verlauf nimmt. Zum Beispiel eine Tiefschneeabfahrt in den Adamants.
Überredet von Ernst, einem erfahrenen Heliskier mit mittlerweile einer Millionen CMH-Höhenfuß unter den Brettern, machten wir drei Schwaben uns Mitte April 1997 auf den Weg in die kanadischen Berge. Daheim im Remstal waren die Kirschen längst verblüht und auch rund um die Adamants-Lodge zeigten sich bei der Ankunft am Samstag mehr braune Flächen als Schnee. In der Erinnerung verliefen die anschließenden Tage recht durchwachsen. Der Schnee, die Abfahrten, das Wetter – nicht gerade schlecht, aber auch nicht besonders aufregend.
Aber dann kam der Donnerstag. Blauer Himmel, Sonnenschein. Zwei- dreihundert Höhenmeter über der Lodge blitzten die Wälder wieder weiß statt grün und schürten die Erwartungen auf frischen Pulverschnee. Der Traum vom tiefen Weiß ging in Erfüllung, gleich beim ersten Run an diesem Tag.
Schon der erste Flug ging hoch hinaus auf fast 3.000 Meter. Der Hubschrauber setzte auf einem schmalen Grat auf. Die Rotoren wirbelten den Schnee auf, dass außer Weiß draußen nichts mehr zu sehen war, und jeder, der vom Hubschrauber ins Freie sprang, versank bis zum Bauch im – wie es im Schwäbischen heißt – fludrigen Schnee. Und dann die grandiose Umgebung. Hoch ragten die grauen Felswände wie im Halbrund einer Arena, fast zum Greifen nah hinter uns auf und bildeten die Kulisse für eine großartige Abfahrt.
Los ging’s:
Eine kurze Schrägfahrt, ein kleiner Sprung über eine Kante im Hang, und vor unserer Gruppe breitete sich ein riesiges und unverspurtes Schneefeld aus. Nicht zu steil und nicht zu flach. Jeder fand genügend Platz für seine perfekte Line im Tiefschnee. Nach 15 bis 20 Schwüngen spürte ich, wie sich die Glückshormone in meinen Körper ausbreiteten. Es kribbelte unter der Kopfhaut. Japanische Journalisten, die unsere Gruppe in dieser Woche begleiteten, schrieben später in ihrem Magazin über diesen Tag in den Adamants von einem „It’s a little place in heaven“.
Nach den Schwüngen im hüfthohen Powder endete die Abfahrt noch längst nicht. Nach einer kleinen Schussstrecke ging der Schnee urplötzlich in feinsten Firn über, und der Schlusshang bestand aus tiefem Sulzschnee. Abschwingen, tief ausschnaufen und jeder strahlte den anderen an. Eine Sensationsabfahrt!
Nach dem Lunch unter der gleißenden Sonne flogen wir zurück zur Lodge. Wir drei hatten uns für diese Woche vorgenommen, die CMH-Gäste und den Staff der Adamants-Lodge mit dem schwäbischen Nationalgereicht „Linsen mit Spätzle und Saiten“ zu verwöhnen. Über einen Mittelsmann bei CMH, dem Schweizer Jöhri, war es Ernst gelungen, Fleisch und Würste von einem deutschen Metzger in Calgary zur Lodge transportieren zu lassen. Der Lodge-Leiter Erich Unterberger freute sich, dass ein schwäbisches Gästetrio das Lodge-Leben kulinarisch etwas aufzupeppen versuchte!
Ein kleines Problem gab es im Vorfeld zu lösen: Wie kommen die Linsen vom Remstal auf die Adamants-Lodge? Wir entschlossen uns, sechs Päckchen mit den Hülsenfrüchten in unseren Skistiefeln zu transportieren. Das Risiko, vom kanadischen Zoll erwischt zu werden und die „heiße Ware“ abgeben zu müssen, verdrängten wir. Und wir hatten Glück: Unbeschädigt und gut verpackt landeten die Linsen von der Schwäbischen Alb in den kanadischen Bergen.
Und los ging’s mit der Kocherei in der Lodge-Küche. 200 Eier, das notwendige Mehl und Salz landeten in der Teigmaschine und rührten sich automatisch zu einem hervorragenden Spätzlesteig zusammen, während auf dem Gasherd in einem großen Topf bereits eine riesige Menge Linsen, gewürzt mit Rotwein, Lorbeer und anderen Zutaten vor sich hin köchelte.
Echte und fleißige Schwaben schärren den Spätzlesteig normalerweise von Hand und von einem eigens dafür gefertigten Brett ins kochende Wasser. Soviel Zeit blieb uns allerdings nicht. Vorsorglich hatte Ernst eine original schwäbische Spätzlespresse im Gepäck, mit der sich unsere Nudelspezialität einigermaßen flott herstellen ließ. Das stabile Gerät vermachten wir dem Küchenchef. Vielleicht ist es bis heute Bestandteil der Küchengerätschaften der Adamants, denn eigentlich ist das Maschinchen nicht kaputt zu kriegen.
Am Ende unserer Überraschungskocherei standen zahlreiche Platten und Töpfe mit Linsen, Spätzle, Saitenwürsten und Scheiben geräucherten Specks auf einem Tisch im Diningroom der Lodge. Gäste und Staff-Mitglieder wurden eingeladen, sich zu bedienen. Während der europäische Teil der Gäste gleich beherzt zulangte, blieben unsere amerikanischen Freunde zunächst ein bisschen skeptisch und kamen mit kleinen Kaffeetellerchen an unseren Linsentisch. Viele kehrten nach der Kostprobe aber wieder zurück - natürlich mit großen Tellern.
Bleibt die Frage, was hat mehr Spaß gemacht: Die Schwünge im Powder oder das Kochen? Wir sagen: das Powdern! Eben weil es einmalig war und im Gedächtnis so lange haften blieb. Löschversuche zwecklos.
Ernst Kucher, Gerhard Schertler und Siggi Weida